Heute
am Volkstrauertag, an dem wir der Opfer von Krieg und Terror
gedenken, möchte ich einmal unsere Aufmerksamkeit auf
die drei Gedenktafeln hier in dieser Kirche lenken, welche
die Opfer der letzten Kriege aus unserem Kirchensprengel verzeichnen.
Meist beachten wir diese Gedenktafeln kaum, wenn wir an ihnen
vorübergehen. Und dennoch wirken sie auf uns ein, stumm,
was uns oft nicht bewusst wird. Und rasch verdrängen
wir die unangenehmen Gefühle, die bei ihrer Botschaft
„Vergiss nicht!“ in uns aufkommen.
Die
älteste der drei Gedenktafeln ist in der Nordwand bei
der Orgel auf der Empore eingemauert. Relativ klein, auf schwarzem,
poliertem Stein sind die Namen der Opfer von zwei Kriegen
geschrieben, dem
Deutschen Krieg von 1866 (unsere Leute fielen
damals im Kampf gegen die Preußen) und dem
Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.
In Geschichtsbüchern kann man nachlesen, wofür diese
Kriege in Anführungszeichen „gut“ waren.
Diese Tafel zeigt auf das Nicht-Gute dieser Kriege, auf Tod
und Elend.
Die beiden
Gedenktafeln im Erdgeschoss am Westgiebel führen die
Toten unseres Kirchensprengels aus den beiden Weltkriegen
an. Besonders stark fällt die zunehmende Opferzahl auf,
die sich von Krieg zu Krieg etwa verdoppelte. Hatte unser
Kirchensprengel beim Krieg von
1866 acht Opfer und beim
Krieg von
1870/71 noch 15 Opfer zu
beklagen, dann waren es beim Ersten Weltkrieg
1914/1918 schon 30 Opfer
und beim Zweiten Weltkrieg
1939/1945 gar 65.
Es sind
Namen, die dort stehen. Und zu den Namen gehören Menschen
und Lebensschicksale, bei vielen von uns aus der näheren
und weiteren Verwandtschaft. Von den Opfern des Zweiten Weltkriegs
seien hier vier Namen stellvertretend genannt, es sind die
Namen von vier Frauen:
- Anna
Barbara Kohler
aus Kreben,
- Margareta
Löslein
aus Oberndorf,
- Magdalena
Löw,
geborene Büttner und
- Kätha
Ruf, geborene Kleinschroth aus Kirchfarrnbach.
Alle mussten
am 16. April 1945 ihr Leben lassen. Die beiden letztgenannten
Frauen waren an diesem Tag mit vielen anderen Zivilisten in
Kleinschroths Keller geflüchtet. Die Amerikaner schossen
durch die geschlossene Kellertüre und trafen die beiden
Frauen tödlich. Fritz Kleinschroth (der hinter mir steht)
saß mit im Keller und kann davon noch berichten. Am
selben Tag kam auch Herr Kohler aus Kreben um, Herr Ruf war
schon vorher gefallen. Auch Georg Ruf (der ebenfalls hinter
mir steht) kann von amerikanischen Kugeln erzählen. Auf
ihn, er war damals ja noch ein Kind, hat ein amerikanisches
Flugzeug Jagd gemacht und hat nach ihm geschossen. Und noch
viele andere können von der schlimmen Zeit des letzten
Krieges berichten.
Siebenundfünfzig
Jahre sind seitdem vergangen. Eine lange Friedenszeit, vielleicht
sogar die längste in der deutschen Geschichte! Eine neue
Generation ist inzwischen herangewachsen, welche die Schrecken
des Krieges zum Glück nicht erlebt hat. Sie ist mit ihren
Problemen beschäftigt und bringt nicht immer Verständnis
für den Volkstrauertag auf, den es nun seit achtzig Jahren
gibt. Und dennoch brauchen wir ihn.
Nicht
als befohlene Trauerübung und nicht einmal als Mittel
zur Vergangenheitsbewältigung. Wie von Weizsäcker
sagt, kann man die Vergangenheit gar nicht bewältigen.
Denn die Vergangenheit lässt sich nicht nachträglich
ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor
der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind
für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht
erinnern will, der wird wieder anfällig für neue
Ansteckungsgefahr.
Vor den
Volkstrauertag schieben sich alljährlich andere Ereignisse.
Im Jahr 2001 bleibt unvergessen der 11. September und in Folge
dessen der Krieg in Afghanistan. Mit der Entscheidung des
Bundestages war klar, dass auch deutsche Soldaten sich an
diesem Krieg beteiligen würden. Es gibt keinen
guten Krieg, es gibt keinen gerechten Krieg. Krieg kann unter
bestimmten Voraussetzungen nur die letzte Möglichkeit
sein, ein schlimmeres Übel zu verhindern. Jeder Krieg
ist und bleibt aber immer ein Übel. Daran will uns der
Volkstrauertag erinnern.
Unsere
Gedenktafeln und Denkmäler sollten uns auch zum Denken
anregen. Es gelte der Satz: Denk einmal beim Denkmal!
Denk mal! Denn allzu sehr sind wir gewohnt, vieles
gedankenlos zu übernehmen. Sicher, auf die Schlagworte
von früher würden wir heute nicht mehr hereinfallen
wie auf das: „Gott will es!“ bei den Aufrufen
zu den furchtbaren Kreuzzügen oder auf den oft gebrauchten
Spruch im Ersten Weltkrieg: „Wenn Gott für uns
ist, wer mag wider uns sein?“ Und die Frage Göbbels:
„Wollt ihr lieber Kanonen als Butter?“ würden
wir nicht mit: „Kanonen!“ beantworten. Und nicht
verstehen können wir, wieso Selbstmordattentäter
den Versprechungen religiöser Verführer Glauben
schenken können. Heute leben wir im freiheitlichen System.
Aber die Verführungen zum Nicht-Denken sind nach wie
vor gegeben, sie sind heute raffinierter und subtiler. Wir
müssen wachsam bleiben.
Entscheidend
aber ist das, was uns zum Denken bewegt, was die Grundrichtung
unseres Denkens bestimmt. Lenken wir nun unsere Gedanken
von den Gedenktafeln weg vor zum Altarraum zu dem, der während
des Gottesdienstes und auch jetzt ständig in unserem
Blickfeld war und ist: der Gekreuzigte über dem Altar.
Seine
Botschaft ist Liebe. Entscheidend ist, dass unser
Denken von Liebe getragen wird, von der Liebe zum
Nächsten. Das ist die einzig richtige Grundhaltung.
Und auch darüber sollte man nachdenken!
Den
Kranz, den wir nun unter dem Klang des Liedes vom guten Kameraden
an unserer Gedenkstätte niederlegen, soll sichtbares
Zeichen unseres Gedenkens sein. Wir verbinden damit die Hoffnung,
dass unser Verlangen nach weltweitem Frieden eines Tages Erfüllung
findet.
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