Gedenkrede zum Volkstrauertag 2002
von Wilhelm Bayer
 

Heute am Volkstrauertag, an dem wir der Opfer von Krieg und Terror gedenken, möchte ich einmal unsere Aufmerksamkeit auf die drei Gedenktafeln hier in dieser Kirche lenken, welche die Opfer der letzten Kriege aus unserem Kirchensprengel verzeichnen. Meist beachten wir diese Gedenktafeln kaum, wenn wir an ihnen vorübergehen. Und dennoch wirken sie auf uns ein, stumm, was uns oft nicht bewusst wird. Und rasch verdrängen wir die unangenehmen Gefühle, die bei ihrer Botschaft „Vergiss nicht!“ in uns aufkommen.

Die älteste der drei Gedenktafeln ist in der Nordwand bei der Orgel auf der Empore eingemauert. Relativ klein, auf schwarzem, poliertem Stein sind die Namen der Opfer von zwei Kriegen geschrieben, dem
Deutschen Krieg von 1866 (unsere Leute fielen damals im Kampf gegen die Preußen) und dem
Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.
In Geschichtsbüchern kann man nachlesen, wofür diese Kriege in Anführungszeichen „gut“ waren. Diese Tafel zeigt auf das Nicht-Gute dieser Kriege, auf Tod und Elend.

Die beiden Gedenktafeln im Erdgeschoss am Westgiebel führen die Toten unseres Kirchensprengels aus den beiden Weltkriegen an. Besonders stark fällt die zunehmende Opferzahl auf, die sich von Krieg zu Krieg etwa verdoppelte. Hatte unser Kirchensprengel beim Krieg von
1866 acht Opfer und beim Krieg von
1870/71 noch 15 Opfer zu beklagen, dann waren es beim Ersten Weltkrieg
1914/1918 schon 30 Opfer und beim Zweiten Weltkrieg
1939/1945 gar 65.

Es sind Namen, die dort stehen. Und zu den Namen gehören Menschen und Lebensschicksale, bei vielen von uns aus der näheren und weiteren Verwandtschaft. Von den Opfern des Zweiten Weltkriegs seien hier vier Namen stellvertretend genannt, es sind die Namen von vier Frauen:

  • Anna Barbara Kohler aus Kreben,
  • Margareta Löslein aus Oberndorf,
  • Magdalena Löw, geborene Büttner und
  • Kätha Ruf, geborene Kleinschroth aus Kirchfarrnbach.

Alle mussten am 16. April 1945 ihr Leben lassen. Die beiden letztgenannten Frauen waren an diesem Tag mit vielen anderen Zivilisten in Kleinschroths Keller geflüchtet. Die Amerikaner schossen durch die geschlossene Kellertüre und trafen die beiden Frauen tödlich. Fritz Kleinschroth (der hinter mir steht) saß mit im Keller und kann davon noch berichten. Am selben Tag kam auch Herr Kohler aus Kreben um, Herr Ruf war schon vorher gefallen. Auch Georg Ruf (der ebenfalls hinter mir steht) kann von amerikanischen Kugeln erzählen. Auf ihn, er war damals ja noch ein Kind, hat ein amerikanisches Flugzeug Jagd gemacht und hat nach ihm geschossen. Und noch viele andere können von der schlimmen Zeit des letzten Krieges berichten.

Siebenundfünfzig Jahre sind seitdem vergangen. Eine lange Friedenszeit, vielleicht sogar die längste in der deutschen Geschichte! Eine neue Generation ist inzwischen herangewachsen, welche die Schrecken des Krieges zum Glück nicht erlebt hat. Sie ist mit ihren Problemen beschäftigt und bringt nicht immer Verständnis für den Volkstrauertag auf, den es nun seit achtzig Jahren gibt. Und dennoch brauchen wir ihn.

Nicht als befohlene Trauerübung und nicht einmal als Mittel zur Vergangenheitsbewältigung. Wie von Weizsäcker sagt, kann man die Vergangenheit gar nicht bewältigen. Denn die Vergangenheit lässt sich nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahr.

Vor den Volkstrauertag schieben sich alljährlich andere Ereignisse. Im Jahr 2001 bleibt unvergessen der 11. September und in Folge dessen der Krieg in Afghanistan. Mit der Entscheidung des Bundestages war klar, dass auch deutsche Soldaten sich an diesem Krieg beteiligen würden. Es gibt keinen guten Krieg, es gibt keinen gerechten Krieg. Krieg kann unter bestimmten Voraussetzungen nur die letzte Möglichkeit sein, ein schlimmeres Übel zu verhindern. Jeder Krieg ist und bleibt aber immer ein Übel. Daran will uns der Volkstrauertag erinnern.

Unsere Gedenktafeln und Denkmäler sollten uns auch zum Denken anregen. Es gelte der Satz: Denk einmal beim Denkmal! Denk mal! Denn allzu sehr sind wir gewohnt, vieles gedankenlos zu übernehmen. Sicher, auf die Schlagworte von früher würden wir heute nicht mehr hereinfallen wie auf das: „Gott will es!“ bei den Aufrufen zu den furchtbaren Kreuzzügen oder auf den oft gebrauchten Spruch im Ersten Weltkrieg: „Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein?“ Und die Frage Göbbels: „Wollt ihr lieber Kanonen als Butter?“ würden wir nicht mit: „Kanonen!“ beantworten. Und nicht verstehen können wir, wieso Selbstmordattentäter den Versprechungen religiöser Verführer Glauben schenken können. Heute leben wir im freiheitlichen System. Aber die Verführungen zum Nicht-Denken sind nach wie vor gegeben, sie sind heute raffinierter und subtiler. Wir müssen wachsam bleiben.

Entscheidend aber ist das, was uns zum Denken bewegt, was die Grundrichtung unseres Denkens bestimmt. Lenken wir nun unsere Gedanken von den Gedenktafeln weg vor zum Altarraum zu dem, der während des Gottesdienstes und auch jetzt ständig in unserem Blickfeld war und ist: der Gekreuzigte über dem Altar.

Seine Botschaft ist Liebe. Entscheidend ist, dass unser Denken von Liebe getragen wird, von der Liebe zum Nächsten. Das ist die einzig richtige Grundhaltung. Und auch darüber sollte man nachdenken!

Den Kranz, den wir nun unter dem Klang des Liedes vom guten Kameraden an unserer Gedenkstätte niederlegen, soll sichtbares Zeichen unseres Gedenkens sein. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass unser Verlangen nach weltweitem Frieden eines Tages Erfüllung findet.

 
 
Am Kriegerdenkmal
 
Wir denken heute
an die Opfer von Gewalt und Krieg,
Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen starben.
der Menschen, die durch Kriegshandlungen
oder danach in Gefangenschaft,
als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir trauern
mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen um die Toten.
Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt.

 
 
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