Gedenkrede zum Volkstrauertag von Karin Henning
am 13. November 2005

   
         
   
Rede zum Volkstrauertag am 13. November 2005


Heute am Volkstrauertag gedenken wir der Gefallenen beider Weltkriege, im Grunde genommen der Toten aller Kriege.

In seiner Rede von 1996 fragt Bundespräsident Roman Herzog: Warum diese Rückschau, warum diese Gedenktage?
Warum der Wille, die Erinnerung lebendig zu halten?
Wäre nicht auch der Wunsch verständlich, Gewesenes zu vergessen, die Wunden vernarben und die Toten ruhen zu lassen.

Tatsächlich könnte heute Vergessen eintreten, denn Zeitzeugen sterben und immer weniger Opfer können das Grauen des Erlittenen persönlich weiter tragen.
Geschichte verblasst schnell, wenn sie nicht Teil des eigenen Erlebens war. Deshalb geht es darum, aus der Erinnerung immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Wir wollen nicht unser Entsetzen konservieren. Wir wollen Lehren ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind.


Als ich mir Gedanken zum heutigen Tag machte, las ich in einem, als Satire verfassten Schulaufsatz von Ludwig Thoma:
Wenn der Krieg angegangen ist, spielt die Musik. Die Menschen singen dann auf der Straße und weinen. Man nennt dies die Nationalhymne. Dann beginnt der eigentliche Teil des Krieges, welchen man Schlacht heißt. Es wird geschossen und es werden Leute umgebracht. Alle sagen, dass es traurig ist, dass so etwas sein muss, aber die welche gesund bleiben, trösten sich, weil es doch der schönste Tod ist …


Aber die Toten der Gedenktafeln wollen uns sagen: Macht uns nicht zu Helden. Dass wir Opfer wurden, ist schlimm genug. Wir hätten lieber als Menschen weitergelebt wie ihr.

Es wird den Frauen und Müttern auch kein Trost gewesen sein, wenn sie die Nachricht erhielten:

Für Ehre und Ruhm - für Volk und Vaterland gefallen.

Wenn wir also an einem Tag wie heute der Opfer von Krieg und Gewalt gedenken so sollte unsere Aufmerksamkeit nicht bei den Toten enden, denn ein Krieg bringt Angst und Schrecken über die ganze Bevölkerung.

Deshalb will ich nicht nur an die erinnern, die in die Kriege zogen, sondern auch an die, die zurückblieben.

Besonders denke ich an die Frauen, die plötzlich die Verantwortung für das alltägliche Leben zu übernehmen hatten.

Kinder, Alte und Kranke mussten ernährt und versorgt werden.

Handwerkliche oder landwirtschaftliche Betriebe mussten weitergeführt werden.

Auch auf den Äckern hat sich das Bild gewandelt. Frauen bringen die Ernte ein.
Sie mussten mit den immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen fertig werden.
Dazu kam die Angst und Ungewissheit um den im Felde stehenden Mann, Bruder, Vater, Sohn oder Bräutigam, von denen sie nur ab und zu oder gar keine Nachricht erhielten.

In unserer Welt gibt es leider immer noch viele Kriegsschauplätze, die zwar fern von uns sind, von denen uns aber täglich in den Medien berichtet wird.

Hier leben wir seit 60 Jahren in einem Land ohne Krieg.
Ob die Gesellschaft heute wirklich in Frieden lebt? Wohl nur auf den ersten Blick.

Denken wir an Gewalt in Familien, auf Schulhöfen oder Straßen. Schonungsloser Konkurrenzkampf, Mobbing und soziale Ausgrenzung, Argwohn gegenüber Menschen, die anders sind, hinterlassen Unfrieden.

Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass Frieden im Kleinen anfängt, im alltäglichen Miteinander. Frieden herrscht dann, wenn wir anderen Menschen ihren Platz lassen, unsere Mitmenschen in ihrer Andersartigkeit tolerieren und annehmen können.

Der Kranz, den wir nun unter dem Klang des Liedes vom „Guten Kameraden“ an unserer Gedenkstätte niederlegen, soll sichtbares Zeichen unserer Erinnerung sein.

Wir verbinden damit die Hoffnung, dass unser Verlangen nach weltweitem Frieden eines Tages Erfüllung findet.

   
         
 
 
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